Neo Sanchez: Fotografie - Videokunst - Artwork
Es ist ein Vollmondtag im November. Gleich treffe ich mich mit Neo Sanchez am Heiligensee zum Shooting. Von Natur aus bin ich ein kamerascheues Reh, kaum einer der mich mal vor die Linse kriegt. Entsprechend aufgeregt bin ich. Neo Sanchez kommt und hat mich im Handumdrehen zum Model ermächtigt. Keine Ahnung, wie sie das gemacht hat, es ging zu schnell. Das Shooting ist wie ein wilder Ritt, ein Rausch und das Ergebnis überzeugend. Ich fühle mich von ihr gesehen und sie hat genau das aus mir hervorgeholt, was ich nach außen bringen wollte. Wie hat sie das nur gemacht? Ich will näher ran, an diese Frau, die so eigenwillig, frech und übersprudelnd vor Ideen daherkommt.
Man spürt es sowohl ihrem Wesen, als auch ihren Werken an, Neo Sanchez ist besessen von der Fotografie. Im besten künstlerischen Sinne. Dienerin der Träume und Visionen lese ich auf ihrer Website und frage nach, was das für sie bedeutet.
“Ich weiß eigentlich gar nicht, ob ich das heute noch so ausdrücken würde”, überlegt sie “aber eine Zeit lang habe mich so gesehen, weil ich ja oft in einer Traumwelt lebe. Ich lasse mich durch alles, was passiert inspirieren, Farben, Formen, Gefühle, Prozesse, durch die ich gehe oder die ich von anderen mitkriege und wenn wir dann ein Shooting machen, dann kommt das an die Oberfläche und läuft mit ab und deswegen denke ich, dass ich die Gabe habe, diese Sachen rauszuholen und sichtbar zu machen. Also ich diene der Traumwelt und der Visionenwelt indem ich das, was da schwirrt in diese Welt herein materialisiere.”
Neo Sanchez schöpft aus der unversiegbaren Quelle ihrer Kreativität. Ein komplexes Unterfangen, all die Projekte, Ideen und Produkte sortiert zu halten, denn sie ist sowohl die Künstlerin, die ihre eigenen Visionen umsetzt, überall wo sie geht und steht Inspiration atmet, als auch die Auftragsfotografin, die die Wünsche ihrer Kunden klar und präzise abbildet.
In ihrem Schaffen kennt sie kaum Berührungsängste. Während eines Shootings öffnet sie einen intimen Raum, in dem man sich sicher fühlen darf. Virtuos begleitet sie ihre Protagonist*innen durch die Welten, hebt mit ihnen ab oder taucht an ihrer Seite in Abgründe. Sie begegnet Engeln und Dämonen, Feen und Kobolden, Drachinnen und Wölfen gleichermaßen und webt Geschichten, die völlig ohne Moral auskommen.
Ganz konkret bietet sie auch Ritualfotografie an. Mit ihrer Kamera geleitet sie ihre Klienten durch bewusste Übergänge, transformatorische Prozesse, Abschiede und Neuanfänge im Leben. Auch Hochzeitsrituale von Menschen aller Ufer werden durch Neo Sanchez’ Bilder bekräftigt.
Eigentlich ging es Ute, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, schon immer um’ s Arrangieren und Inszenieren. Bereits als Kind, so fällt ihr rückblickend auf: andere spielten mit ihren Barbies Familie, sie aber setzte ihre Puppen groß in Szene. Doch von der Barbie - Regisseurin bis zur Fotokünstlerin war es ein Stück Weg, eine obsessive Suche nach der eigenen Bestimmung, mittendurch verschiedene Jobs, Studium und wilde Jahre, als Grenzgängerin im Abenteuer Leben.
Die menschliche Psyche und Entwicklungsprozesse interessierten sie brennend und so war es nahe liegend, soziale Arbeit zu studieren, um tiefer in die Themen einzusteigen und direkt in Kontakt zu gehen. Damals entdeckte sie Malerei und Fotografie als Mittel, für ihren Selbstausdruck. Bis sie eines Tages feststellte, dass sie fotografieren MUSS. Zu dieser Zeit betreute sie ein 17 jähriges Mädchen in der Einzelfallhilfe. Gemeinsam waren sie in einem Klamottengeschäft und das Mädchen bat Ute ein Foto von ihr mit einem Hut zu machen, daraus wurde eine Stunde Shooting. Ute fühlte sich im Flow - erfüllt und glücklich. Danach war ganz klar, die Sozialarbeit ist es nicht, es ist die Fotografie.
Neo Sanchez ist eine Forschernatur, eine Sehende, eine die sich am Rand bewegt und wahrnimmt. Alles was Leben ist, mit einem urteilsfreien, liebevollen Blick zu beschenken, dabei Grenzen auszuloten und sich auf Neues einzulassen, das scheint ihr tägliches Experiment.
“Die Fotografie hat meine Sichtweise komplett verändert.”, sagt sie, “Ich bin wertfrei geworden, das war die 1.Stufe und die 2. Stufe war: Wenn ich jetzt zum Beispiel eine Frau in der Sauna sehe, die Cellulite hat ohne Ende, dann seh' ich sofort die Schönheit darin und will sie am Liebsten fotografieren und das groß machen. Es ist nicht mehr: das hat man nicht, das soll so nicht, sondern es ist ins Gegenteil gekippt: Alle sind schön. Und das ist nicht nur ein Spruch. Ich fand schon immer Narben und so interessant. So Sachen die versteckt werden sollen, will ich extra raus bringen und zeigen. Bei mir laufen dann sofort die Phantasien ab, wie ich das inszenieren würde. Diesen Ist -Zustand würdigen, dass es schon schön IST.”
Ich persönlich empfinde Neo Sanchez’ Bilder in ihrer Wirkung als heilend. Es ist gerade dieses radikal Konfrontative, Annehmende, die wertfreie Betrachtung, die es genau so sein lässt, wie es jetzt ist, mehr noch, es in seiner eigenen Ästhetik offen und mutig herzeigt.
Verletzbar und ungezähmt gleichermaßen.
(mit Klick auf das Bild gelangst Du auf Neo Sanchez Website)
Foto: Jane. Eingefangen von Neo Sanchez
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Neo Sanchez Fotokunst (Freitag, 08 März 2019)
wunderschön geschrieben, du Zauberpoetin.
Danke sehr. sehr. sehr.
Love. Love. Love
kevjamin (Dienstag, 22 März 2022 20:29)
Sehr schöner Text, der treffender nicht sein könnte.
LG
Jana (Mittwoch, 23 März 2022 14:38)
Kevjamin, Danke, das freut :-)