Station 1 und 2
Der Ruf ist nicht das Ziel sag ich immer, denn die Heldenreise hat kein definiertes Ziel, sie ist eine Fahrt ins Blaue. Der Ruf äußert sich z.B. in einem unbestimmten Gefühl, einer Sehnsucht, die du nicht recht einzuordnen vermagst. Manchmal ist der Ruf in der Langeweile zu hören, in einem Leben, das zu geordnet ist, wo mal endlich was Aufregendes passieren sollte, aber auch dort, wo wir in unmögliche Situationen verstrickt sind, in einem Dilemma hängen oder in Lebenskrisen, dort wo wir wissen, wir müssen etwas ändern, aber nicht wissen, was oder wie. Wenn in dir nichts ruft, wirst du dich nicht aus dem Gewohnten bewegen. Der Ruf ist die Initialzündung für eine Veränderung.
Der Ruf erscheint also als unbestimmtes Gefühl oder als konkrete Situation. Entweder folgst du einer Sehnsucht oder aber du wirst durch äußere Umstände gezwungen dich zu bewegen. Jedenfalls ist seine Qualität definiert von Nichtwissen. Das heißt, wenn ich das Ziel kennen würde „ich will dies oder jenes erreichen“ dann brauche ich eine Strategie zur Umsetzung, aber keine Heldenreise. Helden reisen im Unterschied ohne Ziel, weil sie sich auf das Unbekannte einlassen, um es, im wahrsten Sinne des Wortes, zu er-fahren.
Der Ruf kommt von niemandem weniger, als von deiner eigenen Seele. Von deinem ewigen göttlichen Wesen. Deine Seele ruft dich, deine Bestimmung zu finden. Vielmehr, aber das ist ein Geheimnis, dich von deiner Bestimmung finden zu lassen. Ob du diesem Ruf folgst bleibt deine Entscheidung.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass beinah zeitgleich mit dem Ruf, ein Gegenspieler den Raum betritt. Die Weigerung. Und auch sie will sich Gehör verschaffen. Daher beginnen wir in der Vorbereitung auf die Reise mit der Erforschung dieser beiden Kräfte in uns. Der Ruf und die Weigerung sind wie zwei Kontrahenten, zwei widersprüchliche Stimmen in uns. Engelchen und Teufelchen auf der einen und der anderen Schulter, die uns scheinbar unvereinbare Botschaften in die Ohren flüstern.
Doch bevor wir diese beiden Kräfte nicht in ein stimmiges Gleichgewicht gebracht haben, können wir uns nicht auf den Weg zum Portal in die unbekannte Welt machen. Also machen wir uns vertraut mit den Stimmen in uns, die uns von unserem Seelenweg abhalten wollen. Ohne hier vorzugreifen, kann ich sagen, dass sich dieser Anteil bei näherer Betrachtung als ein Wächter mit Schutzauftrag entpuppt. Zu gefährlich und zu unsicher sei die Reise, sagt er vielleicht. Im Gewohnten mag es trist und öde sein, chaotisch, schwierig oder schmerzhaft, jedoch sei es eben das Gewohnte, hier kennen wir uns doch aus, insofern ist es allemal sicherer als so eine Heldenreise. Wie das schon klingt. Als ob Du ein Held bist. Überall lauern Gefahren, nicht auszudenken, was alles passieren kann. Und außerdem, es klappt sowieso nicht. Ich finde, dass Du Dich viel zu wichtig nimmst, das ist ja richtig peinlich.
Unsere inneren Wächter wissen, mit welchen Gegenargumenten sie uns überzeugen können, denn sie schützen uns schon lange, genaugenommen seit der Kindheit. Doch jetzt wo die Seele ruft, ist die Sicherheitszone in höchster Gefahr. Der Wächter wird gewiefte Tricks anwenden, um uns aufzuhalten. In der Vorbereitung auf die Reise hören wir diesen Wächtern, die eigentlich innere Kinder sind, gut zu, lassen sie ganz auftauchen und nehmen sie sehr ernst. Auf keinen Fall werden wir entgegen dem inneren Widerstand auf die Reise gehen.
Die Weigerung setze ich mit dem Archetyp des inneren Schattenkindes gleich. Diese Schattenkinder sind durch Verletzungen, Vernachlässigungen, Überforderungen und Traumatisierungen in unserer Kindheit entstanden und agieren aus dem Schatten, dem Unbewussten heraus, um sicherzustellen, dass nicht wieder etwas Schlimmes passiert. Sie verfolgen dabei immer noch ihre kindlichen Strategien, können also gar nicht erwachsen entscheiden und handeln. Wir holen diesen inneren Anteil aus dem Kellerdasein ans Licht und bringen ihn aus dem falschverstandenen Auftrag, uns vor dem Leben schützen zu müssen, in echte Sicherheit in uns, die Sicherheit, die ein Kind eben braucht. Erst dann können wir uns, mit dem inneren Kind an der schützenden Hand des Erwachsenen, auf den Weg machen.
Sonnenkind und Schattenkind gehen gemeinsam mit uns in die Unbekannte Welt.
Fortsetzung folgt ...

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Andreas Fiedler (Donnerstag, 05 Mai 2022 15:01)
Danke für die erhellende Beschreibung. Sehr schlüssig und von hoher persönlicher wie auch gesellschaftlicher Relevanz. Aus der "Immunity to Change", die das Schattenkind erzeugt, saugen rückwärtsgewandte politische Kräfte enorm viel Energie. Umso wichtiger ist deine "Anleitung zur (R)Evolution", die Menschen befähigt, den nächsten Schritt vorwärts zu tun anstatt ihr Heil in der Vergangenheit zu suchen.